Ein Vormittag im LWL TextilMuseum

Verwebung von Historie und Moderne

Unser Herding-Festival-2018

Unter blauem Himmel versammelten sich am Donnerstag (14. Juni 2018) alle Schülerinnen und Schüler der Klassen 8 des St.-Josef-Gymnasiums langsam auf dem kiesigen Hof der Weberei des LWL Textilwerks Bocholt. Unruhig kommen sie in Kleingruppen zusammen und warteten auf die Dinge, die da kommen sollten. Viele kennen den authentischen Lernort bereits aus der Jahrgangsstufe 5 und haben vor zwei Jahren bereits erste Fäden zum historischen Ort geknüpft. Ein Gefühl der allgemeinen Vertrautheit macht sich breit.

Als der Kurator und wissenschaftliche Leiter des TextilMuseums, Martin Schmidt, seine Begrüßungsworte an die Masse richtet, ebbte die Unruhe langsam ab (soweit es das Temperament der 8. Klasse zulässt). „Heute werden die Fäden, die ihr vor drei Jahren hier begonnen habt, weiter gewebt, aber mit neuer Maschinerie“, wie Schmidt in seiner Ansprache zum Tagesverlauf anklingen ließ.

Bereits beim Eintritt ins Gebäude fiel im Vergleich mit vorigen Besuchen auf, dass sich einiges verändert hat. Ursprünglich begrüßten einen die ersten Ausstellungsstücke bereits im Foyer, doch weichen sie nun einem strahlend weißen Anstrich, der Offenheit vermittelt. Dieses Gefühl der Offenheit weist auf das neue Konzept des TextilMuseums hin. Wo zuvor noch Eisenstäbe und Ketten den direkteren Zugriff verhinderten, können die Besucher nun in den Textilsektor der Industrialisierung nachhaltiger eintauchen. So kann man sich frei zwischen den Maschinen bewegen und die Verzahnung der Arbeitsprozesse am eigenen Leib nachvollziehen.

Unsere Klassen 8 erlebten laut arbeitende Maschinen. Die Lautstärke von Maschinen wie dem Greifer ist teilweise ohrenbetäubend. Eines wurde schnell klar: „Das ist Arbeit, kein Spiel!“, wie Martin Schmidt es treffend formulierte, als er eine Menagerie von verschiedenen hämmernden und plärrenden Geräten anwarf. Andere Gruppen von Besuchern konnten währenddessen in die erhöhte Meisterkabine eintreten und einen Perspektivwechsel erleben. Sie setzten quasi die Brille eines Meisters auf, der die Prozessstrukturen von erhöhtem Posten aus unmittelbar überschauen kann.

Ein solcher Einblick in die Lebenswelt der Weber deutet auf eine weitere entscheidende Neuerung in der Konzeption des Museums hin. Wo zuvor noch zu jedem Exponat ein teilweise stundenlanger Film gezeigt wurde, prangen nun neue Medien. Die Besucher übernehmen per elektronischer Karte eine Rolle im Betrieb der Weberei im 19. Jahrhundert. Sie können als Weber von Exponat zu Exponat wandern und sich per digitalem Interface mit stilisierten Charakteren aus der Zeit austauschen. Per Knopfdruck können Antworten ausgesucht und Dialoge mit einem virtuellen Mechaniker, Heizer, Kontorist und Meister geführt werden.

Virtuelle Interaktion wird zum Herzstück des Rundganges. Impulsschilder, die umständlich lange Informationstafeln durch kurze prägnante Wörter ersetzen, untermalen diese modern museumspädagogische Herangehensweise. Es gilt: Hineinfühlen statt Vorbeilesen.

Zusätzlich dazu vermittelten vier Module unseren Schülerinnen und Schülern die unterschiedlichen Ebenen des Lebens am Bocholter Industriestandort um 1900. Hier wurden die Mädchen und Jungen aktiviert und die Arbeitsprozesse im Werk wurden noch transparenter. Unsere Module trugen Namen wie „Weben und Leben wie vor hundert Jahren – Alltag zwischen Arbeit und daheim“, Modul 1; „Fashion – Design und Mode“, Modul 2; „Ein Haufen Kohle – Von Strategien und Unternehmerarbeit“, Modul 3 und „Karl vor der Wahl. Ein Theaterstück“, Modul 4. An diesen Namen lässt sich bereits die handlungsorientierte Natur der Vorhaben erkennen. Hier wird an die historische Materie Hand angelegt, indem Schülerinnen und Schüler selbst Wäsche in der Art des 19. Jahrhunderts waschen, mit ausgewählter Maschinerie arbeiten oder die Rolle des Jungen Karl in der Arbeitswelt der Industrialisierung in Theaterform nachspielen.

Eben jenes Theaterstück war es, das unseren Vormittag abrundete. Hier zeigten Schülerinnen der verschiedenen 8. Klassen ihr dramatisches sowie dramaturgisches Können. Das selbst verfasste, selbst gespielte Stück über Karl und seine Wahl zwischen Gymnasium und harter Arbeit im Werk zur Rettung seiner Familie wusste zu begeistern. Vor der historischen Kulisse der Weberei und den Augen der anderen auf dem Boden sitzenden Schülerinnen und Schüler berührte das Schicksal des jungen Karls. Außerdem machte eine äußerst carnivore Oma als Running Gag des Stückes auf humoristische Art und Weise Appetit auf richtiges Fleisch.

Die von unserem Kooperationspartner Borgers GmbH gesponserte Bratwurst, die im Anschluss auf dem Hof eingenommen wurde, kam da gerade recht – ein den Magen füllender Abschluss zu einem den Kopf und das Herz füllenden Vormittag in der Weberei, der neue Fäden gezogen und neuen Stoff verwoben hat.  

Die Kooperation zwischen den Partnern St.-Josef-Gymnasium, LWL TextilMuseum und der Borgers GmbH lebt. Und sie wird immer enger miteinander verwoben. Das liegt vor allem an dem hohen leidenschaftlichen Engagement der Fachschaft Geschichte am Kapu, Frau Frins und Herrn Schmidt auf Seiten des Museums und an Frau Beckenuyte von der Borgers GmbH. Ihnen allen gilt ein besonderer Dank für ihre Arbeit rund um das Herding-Festival-2018: Mit dem Fahrstuhl in die Vergangenheit.

Bedanken möchten wir uns auch bei Herrn Sevink für seine so leckeren Bratwürstchen!

 

Text: Michael Skoda

Fotos: Volker Wulf